„Es müssen alle tatkräftig mittun und die richtigen Hebel betätigen“

    • Offizieller Beitrag

    Am 25. und 26. Mai 2023 geht am Vienna Airport der 38. Logistik Dialog der BVL Österreich über die Bühne. Verkehr sprach mit Wolfgang Kubesch, Geschäftsführer der BVL Österreich, über das Event, den Klimawandel und den Hands-On-Change.

    von: Inga Herrmann

    Verkehr: Ende Mai findet bereits zum 38. Mal der Logistik Dialog der BVL Österreich statt – was hat sich im Laufe von nahezu vier Jahrzehnten verändert?

    Wolfgang Kubesch: Wenn man auf die vergangenen Logistik Dialoge zurückblickt, gibt es mehrere Meilensteine, v.a. in den letzten zehn Jahren: Zunächst die steigende Bedeutung der Internationalität des Kongresses, die u.a. auf eine stärkere Verzahnung der Logistikwelt in der DACH-Region zurückzuführen ist und sich sowohl in der Qualität als auch Quantität der Speaker widerspiegelt – vor zehn Jahren waren es noch 36, 2022 lagen wir schon bei 63 Vortragenden. Diesbezüglich haben wir in den letzten Jahren unser Augenmerk vehement darauf gerichtet, dass die Bühne für mehr Gender-Power möglichst geteilt wird: 2013 lag der Anteil der weiblichen Speaker bei sechs Prozent und 2022 schon bei rund 25 Prozent. Damit ist der Logistik Dialog ganz klar die Benchmark.

    Ein wichtiger Schritt war auch die jährliche Zusammenarbeit mit einem expliziten Partnerland wie Spanien, Polen und den Niederlanden. Für 2023 haben wir uns entschieden, nicht ein Partnerland, sondern den europäischen, nachbarschaftlichen Gedanken in den Fokus zu rücken. 2024 wollen wir aber die Partnerland-Idee wieder aufleben lassen.

    In den vergangenen Jahren stand bei den BVL-Logistik-Dialogen die Digitalisierung im Mittelpunkt. Nach Corona und in Zeiten des Ukraine-Kriegs haben Sie 2022 das Motto „Empowerment For Future“ ausgegeben, in diesem Jahr gilt: „Hands On 4 Change“ – eine Aufforderung, nach dem Reden über und Fitmachen für die Zukunft nun endlich den Wandel ganz konkret anzupacken?

    Kubesch: Ja, die Pandemie, aber auch der Krieg brachten eine ganz neue Themenlandschaft mit sich. Natürlich ist ohne Digitalisierung vieles nicht denkbar, aber wir müssen uns wieder darauf besinnen, was wir aus eigener Kraft bewerkstelligen können und müssen, um sich so als Gesellschaft und Wirtschaft zu entwickeln, wie es die allgemeinen Gegebenheiten (Stichwort Klimawandel und Nachhaltigkeit) verlangen. Wir befinden uns in einer Verschiebung des Kräfteparallelogramms zwischen Amerika, Europa und Asien, teilweise auch dem globalen Süden. Europa droht, hier seinen Platz zu verlieren bzw. könnte in vielen Bereichen mehr, scheitert allerdings an Geschwindigkeiten, Einzelinteressen und Ähnlichem. Am Ende des Tages wird uns das auch bei der Bewältigung des Klimawandels nicht helfen. Daher haben wir heuer das Kongress-Motto „Hands On 4 Change“ ausgerufen, weil es zwar notwendig ist, dass Europa versucht, klimaneu­tral zu werden, aber das allein eben das globale Klima bestimmt nicht retten wird. Es müssen alle mittun! Und wir müssen die Hebel betätigen, die am meisten Wirkung zeigen. Die größten CO2-Emittenten sind derzeit China und die USA – deren Emissionswerte überschreiten die europäischen um ein Vielfaches. Hier muss Europa deutlich gegensteuern. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet also: Tun wir insgesamt im Denken das Richtige, um dem Klima wirklich zu helfen?

    SchwelIenländer wie Indien darf man bei diesen Überlegungen nicht vergessen. Indien hat 1,4 Milliarden Einwohner und gilt als wachsende Wirtschaftsmacht, die bis 2030 zur drittgrößten Weltwirtschaft aufsteigen könnte.

    Kubesch: Der Weg zur Klimaneutralität­ wird unter diesen Umständen nicht leichter werden, weil das globale Bevölkerungswachstum beträchtlich ist. In der Folge bedeutet das einen höheren Ressourceneinsatz, wozu mehr Ac­kerflächen, mehr Erderwärmung, mehr Bodenversiegelung und deshalb v.a. mehr Bautätigkeiten zählen. Von Letzterem wissen wir aus diversen Reports, dass Bauen sehr hohe Emissionen verursacht, signifikant mehr als der Transport, sowohl Individual- als auch Güterverkehr.

    Stichwort Güterverkehr: Der kürzlich präsentierte Masterplan Güterverkehr fordert v.a. die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene und will teilweise die freie Transportmittelwahl aufheben.

    Kubesch: Man muss sich immer überlegen, was es bedeutet, Transporte zu verlagern, und vorher schauen, welchen Anteil der Transport überhaupt an den Emissionen global gesehen hat. Ist das der richtige Stellhebel? Und in puncto Güterverlagerung auf die Schiene: Wir wissen, dass das Schienennetz zu einem hohen Prozentsatz ausgelastet ist aufgrund der Priorisierung des Personenverkehrs – da wird die Verlagerung des Güterverkehrs nicht so einfach zu bewerkstelligen sein. Ich habe aber noch keine Stimme aus der Politik gehört, die gesagt hat: Gut, dann müssen wir eben auch eine neue Eisenbahnstrecke bauen, denn das wäre ja eigentlich die logische Konsequenz, wenn Kapazitäten fehlen. Es muss darum gehen, die technologisch beste Lösung und nicht irgendeine, die aus ideologischen Gründen propagiert wird, umzusetzen. Und wir müssen letztendlich die In­frastrukturen, so gut sie verfügbar sind, auch nutzen, weil Bauen wieder neue Emissionen verursacht. Letztendlich sind fast alle Systeme, die zu stark von staatlichen Eingriffen getragen sind, nicht die Systeme, die insgesamt zum Ziel führen. Zum Ziel kommt man nur durch freies Denken, Innovation und Technologieoffenheit. Wenn der Staat schon steuern möchte, wäre es nur konsequent, die entsprechenden Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen und nicht die Logistik durch Regularien in Transportmittel hineinzuzwingen.

    Die Transformation ist in aller Munde, alles und jedes muss sich transformieren. Und die Logistik natürlich auch, v.a. zu mehr Nachhaltigkeit. Aber in welche Richtung soll man sich denn transformieren?

    Kubesch: Die Logistik ist immer proaktiver Teil einer besseren und guten Lösung gewesen. Aber man muss auch fair sein zu allen Playern und sagen: Da soll die Reise hingehen, denn es müssen Entscheidungen und Vorbereitungen getroffen werden. Derzeit ist allerdings noch nicht sicher, welche alternative Antriebsform es in Europa einmal sein wird. Aber eines ist klar: Elek­tromobilität, der massive Umstieg in die E-Wende, bedeutet nach heutigem Stand nicht nur, dass die aktuellen Stromnetzkapazitäten nicht reichen, sondern auch neue Abhängigkeiten geschaffen werden: von früher fast nur einem Lieferanten von Erdgas zu dann nur einem (mehr oder weniger) einzigen Land auf der Welt, wo es derzeit die wichtigen Seltenen Erden gibt. Autarkie kommt in Europa in vielen Berechnungen gar nicht vor, und das werden wir beim Kongress auch thematisier­en: Denn Resilienz hat ihren Preis.

    Apropos Kongress: Welche Transformation hat denn das Programm des 38. BVL-Logistik-Dialogs vollzogen?

    Kubesch: Im Sinne des Change wird es dieses Jahr mehr Objekte zum Angreifen und Erleben geben, mehr interaktive Informationen. Hier spielt der Außenbereich eine große Rolle, in dem u.a. ein Schulungstrailer von LKW Walter, der eAc­tros von Mercedes, der robotdog von Smart Inspection und die Shuttle-Technologie von Knapp präsentiert werden. Eine absolute Premiere ist das Worldclass-Onboarding, bei dem Paradeunternehmen die Chance haben, junge Talente für die Logistik zu begeistern, im Rahmen eines World-Cafés kennenzulernen und den „Perfect Match“ zu finden. Top-Speakerin ist die Triple-Gold-Gewinnerin im Degenfechten, Britta Heidemann, mit einem Vortrag über die Parallelen zwischen Logistik und Hochleistungssport. Als BVL Österreich freuen wir uns sehr, dass heuer auch Bundesministerin Susanne Raab den Logistik Dialog besuchen und unsere Bemühungen unterstützen wird, speziell mehr Frauen für die Logistik zu gewinnen.

    Vielen Dank für das Gespräch!

    quelle: https://www.verkehr.co.at/singleview/art…ebel-betaetigen

    Warum nach den Sternen greifen, wenn man einen fahren kann.

    Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muß man sich verdienen.

    Die Tochter des Neides ist die Verleumdung.

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