Custom ab Werk: Stellantis optimiert E-Transporter für den Güterverkehr
Stellantis setzt auf branchenspezifische Ausbauten direkt ab Werk. Das neue Pro One-Programm erleichtert Fuhrparkmanagern den Einstieg in die E-Mobilität im leichten Verteilerverkehr.
„Customer Journey“ lautet das neueste Zauberwort der Marketingstrategen in der Autoindustrie: Und diese „Reise des Kunden“ soll künftig kürzer, direkter, effizienter, qualitativer und vielleicht auch kostengünstiger sein. Und, nicht unwichtig, vieles davon im Einrechnungs-Geschäft. Deshalb holt die Gewerbesparte des Konzerns wie mancher anderer Hersteller aktuell die Aus- und Umbauten verstärkt ins Werk und an seine Wurzeln und schafft dafür ein "Customer Fit Center (CFC)". Solche soll es perspektivisch in jedem der sechs Werke geben, in diesem Falle ohne Toyota, aber mit Vauxhall und RAM, neben Fiat, Peugeot, Citroen und Opel. Den Start macht das Kernwerk im süditalienischen Atessa (Sevel Süd) bei Chieti, wo inklusive Toyota satte 30 Prozent des gesamten Large-Vans-Felds bestellt werden. „Hier haben wir alle Kompetenzen rund um das Fahrzeug“, begründet Anne Abboud, Leiterin des Geschäftsbereichs Stellantis Pro One, den Schritt, den sie nicht als Affront oder Wettbewerb, sondern Vertiefung der Partnerschaft mit den sogenannten „Converter“ verstanden wissen will. Sondern als „Win-Win-Win“-Situation, wenn man so will: Für den Hersteller (in Sachen Wertschöpfung), für den Aufbauer (in Sachen Skalierung, Sichtbarkeit und Netzwerk) und für den Kunden (in Sachen Komplexität und Lieferzeit).
50 Prozent der großen Vans unter dem Sechsmarkendach, zu dem man eigentlich auch noch Toyota und bald Iveco zählen darf, rollen irgendwie modifiziert und umgebaut zum Kunden. Doch statt die Fahrzeuge mit aufwändiger Logistik zu den lokalen Aufbauern zu schicken, dreht man bei Stellantis den Spieß jetzt um und will mehr und mehr von den Speziallösungen ins Werk holen, um sie dort final zu montieren und dann direkt auszuliefern. Davor soll das Fahrzeug laut Abboud nicht bewegt werden. Die Bestellung soll über eine einzige Webplattform erfolgen, wobei man lokale Websites für das doch noch sehr landesspezifisch sortierte Umbaugeschäft etablieren will. Für Deutschland gibt es einen solchen Katalog bereits.
Personalisierung: Wenn Royal Mail eine windfeste Tür braucht
Neben den Ab-Werk-Lösungen gibt es als zweite Schiene sogenannte „Personalisierungen“: Ein mit einer internen Schiebetür ausstaffierter Van für Amazon wurde in 3.000 Exemplaren realisiert und soll die Lieferzeiten um eine halbe Minute pro Stopp effektivieren. Ein Ausbau für die britische Royal Mail schafft eine ultrafeste Arretierung mit Magneten an den Hecktüren, eine knallgelbe Trittstufe von Rhino nebst angepassten Parksensoren oder Haltegriffe. Ein Kastenwagenausbau für die französische SNCF realisiert neben der obligaten Beklebung ab Werk, ohnehin ein Trend, eine Belüftung für den mit Holzverkleidung versehenen Laderaum, weil die Kunden eben auch im Laderaum arbeiten müssen. 2024 wurden in Atessa neun Prozent der Fahrzeuge personalisiert, 2025 sollen es schon 24 Prozent sein und 2027 dann gar 40 Prozent, alles natürlich auch gut für den Standort und die Quote an „menschlichen“ Arbeitsplätzen.
"Frei Bordsteinkante": Deutliche Steigerung bei den "Conversions"
Bei den „Conversions ab Werk“ sollen es von 2024 ausgehend 8 Prozent im laufenden Jahr 11 und bis in zwei Jahren 15 Prozent sein. 300 Fahrzeuge rollen im CFC bereits jetzt täglich vom Band, eine Zahl, die man in einem Jahr verdoppeln will. Auch dank eines ausgedehnten Umbauangebots: Von aktuell 550 zertifizierten Partnern, die je nach Land nach einem strikten Prozess ausgewählt werden, will man das Netzwerk auf 800 Partner steigern und 8.000 verschiedene Produkte „frei Bordsteinkante“ anbieten können. Gesamt verzeichnete Stellantis im Jahr 2024 einen Anstieg von 25 % bei den Umrüstungen mit zertifizierten Partnern und verdoppelte die Anzahl der kundenspezifischen Einheiten für große Flotten, die in eigenen Werken hergestellt wurden, wobei der Verkauf von umgerüsteten Fahrzeugen in ganz Europa um 35 % stieg.
Niedrige BEV-Quote: Von der Politik im Stich gelassen
Zu den ersten Modellen im wahrsten Sinne „ab Werk“ zählen etwa Klassiker wie Kipper, Doka-Pritsche oder Crew Cab-Kastenwagen. Vorzeigemodell und Vorreiter der Custom-Fit-Strategie ist aber der bereits auf der IAA Transportation 2024 gezeigte Cargo Box BEV an. Im Werk sind die BEV leider ein viel zu seltener Anblick: Nicht mal vier Prozent der Order machen die Stromer aus, viel weniger als erwartet und auch nötig, um die mittelfristig Flottengrenzwerte der EU und langfristig die Ausstiegszenarien der EU einhalten zu können. Man fühlt sich nicht nur bei Stellantis von der Politik im Stich gelassen, die zwar strikte Vorgaben aufgestellt hat, aber selbige mit populistischen Eskapaden und Debatten gerade selbst torpediert - und das nicht nur im Meloni-Italien, sondern mittlerweile bis nach Deutschland. Im Ergebnis sei der „BEV-Markt“ einfach noch nicht da, wo er sein sollte und könnte, klagt der Konzern.
Die Produkte allerdings seien sehr wohl da, wie man betont. Und eben auch in Speziallösungen und mit ordentlicher Reichweite, im Falle des Box-Ducato von über 300 Kilometer, mehr als genug für die zugedachten Einsatzfelder. Dennoch höre man auch von großen Logistikkunden immer, das sei zu wenig Reichweite, obwohl der Bedarf auf täglich immer gleichen Runden kaum 100 Kilometer übersteigt. Bei Stellantis versteht man die Welt nicht mehr, und nicht nur hier.
Der BEV mit der Box: Mit 20 Kubik unter Strom
Wie auch immer: Der BEV mit der Box bietet 18,3 m³, ergänzt durch einen geräumigen Innenraum mit Abmessungen von 4.230 mm Länge, 2.032 mm Breite und 2.150 mm Höhe. Er basiert auf der batterieelektrischen Chassis-Cab-Version mit einem maximalen Drehmoment von 410 Nm und einer Leistung von 200 kW (270 PS), gepaart mit einer 110 kWh-Batterie, die eine Reichweite von bis zu 323 km (nach WLTP*) ermöglicht. Sogar ein L4 ist erhältlich, der das Ladevolumen auf 20,5 m³ bei einer Innenlänge von 4.500 mm und einer Höhe von 2.300 mm vergrößert. Weitere Erleichterung für den Kunden: Die 22-kW-AC-Ladung wird Standard, sodass auch bei schlichterer AC-Ladetechnik am Standort Zwei-Schichtbetrieb möglich wird. Die Komplettladung geht sowieso über Nacht, die vollständige Aufladung geschieht in nur 6 Stunden, halbiert zum 11-kW-Standard.
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„Die Einführung des Cargo Box BEV bestätigt den Erfolgskurs dieses Werks, das sich der proaktiven und schnellen Erfüllung der Bedürfnisse unserer professionellen Kunden verschrieben hat, und zwar nach den Grundsätzen der Effizienz, der maximalen Qualität und der schnellen Markteinführung“, wirbt Anne Abboud.
Arnaud Leclerc, Global Head von Stellantis CustomFit ergänzt, die direkten Produktionskapazitäten der Werke im Bereich CustomFit werden durch ein weltweites Netz von 550 autorisierten Partnern integriert und erweitert. Darüber hinaus gilt für alle von Partnern hergestellten Ausstattungen die gleiche zweijährige Garantie wie für Fahrzeuge, die direkt aus dem Werk kommen, so Leclerc weiter.
Auch der Camper kommt elektrisch: Marktführerpflicht
Ein weiterer Bereich von traditionell hohem Interesse ist die Realisierung von Umbauten für den Caravan- und Wohnmobilsektor (RV, Recreational Vehicles), in dem Stellantis Pro One vor allem mit dem Fiat Ducato als Zugpferd erneut unangefochtener Marktführer ist. Auch hier gibt es bald eine vollelektrische Version für Freizeitfahrzeuge. Als Marktführer müsse man hier trotz der aktuellen Elektroflaute vorangehen, meint Anne Abboud. Zumindest das Angebot muss da sein, findet sie. Und ein gutes solches schafft sich seine Nachfrage dann hoffentlich auch von selbst, wenn die Politik ihren Schlingerkurs beendet und den Kurs endlich klar auf elektrisch setzt. Dass das dringend notwendig ist, machen nicht nur die unter der glühenden Sonne Süditaliens bei 39 Grad schmachtenden Conversions vor dem Werk deutlich.
Über das Werk Atessa:
Das Sevel-Werk in Atessa ist mit über 1.200.000 Quadratmetern Fläche nicht nur das größte Werk in Europa, das ausschließlich leichte Nutzfahrzeuge herstellt, sondern auch ein globaler Maßstab: 80 % der Produktion sind für den Export in 75 Länder weltweit bestimmt. Mit einem 15 km langen Montageband, der größten Karosseriewerkstatt der Stellantis Gruppe und einer ständig modernisierten Lackieranlage, die den neuesten Kriterien der Energie- und Umweltverträglichkeit entspricht, kann Atessa mehr als 1.200 verschiedene Konfigurationen herstellen, von Wohnwagen über Umbauten bis hin zu Fahrzeugen für den Gütertransport. Mit 14 Motoren, 4 Getriebetypen, mehr als 300 Optionen und 8 Transportergrößen stellt das Werk ein komplettes Produktionsökosystem dar, das mehr als 2.500 verschiedene Versionen anbieten kann. Seit 1981 wurden in Atessa über 7,5 Millionen Einheiten produziert, seit Anfang an auch der Ducato, der im gleichen Jahr debütierte.
quelle: https://transport-online.de/news/custom-ab…ehr-181098.html