Lkw und Busse von MAN Latin America
Mit einem Produktprogramm von 5 bis 63 Tonnen deckt der
brasilianische Marktführer MAN Latin America die unterschiedlichen
Anforderungen auf dem größten Transportmarkt Südamerikas ab. Wir sind
die wichtigsten Bus- und Lkw-Modelle gefahren.
"Less you don’t want, more you don’t need!" – "Weniger wollen Sie
nicht, mehr brauchen Sie nicht!", schmettert Roberto Cortes,
Geschäftsführer des brasilianischen Marktführers MAN Latin America,
seine Konzernphilosophie in die Runde. Was an eine Verkaufsparole des
verblichenen real existierenden Sozialismus erinnert, bringt auf den
Punkt, was auf brasilianischen Straßen benötigt wird: Lastenträger mit
Nehmerqualitäten – nicht schick, dafür haltbar und gemacht für die
Naturpisten, die das Straßennetz im größten Land Südamerikas bestimmen.
MAN Latin America erneut Marktführer in Brasilien
Mit diesem Konzept hat sich VW do Brasil, das 2009 von MAN übernommen
wurde und seither MAN Latin America heißt, zum Marktführer
hochgearbeitet. Dabei setzen die Ingenieure auf eine gut abgeschmeckte
Mischung aus bewährten Zulieferkomponenten und eigenem
Baukastenprogramm, das vom leichten Delivery bis zum Flaggschiff
Constellation reicht.
Groß geworden ist VW do Brasil aber mit einem Komponenten-Truck, der
von Meritor die Achsen, von MWM und Cummins die Motoren und von lokalen
Stahlwerken die Chassis bezieht. Als Fahrerhaus kommt nach wie vor jene
Rohbaukarosserie zum Einsatz, die in Europa mit dem glücklosen VW L80
längst in den Ruhestand gegangen ist. Das kompakte Fahrerhaus, das schon
der erste VW LT trug, ist dann auch die einzige VW-eigene Entwicklung.
Den Bauteile-Mix montieren die Zulieferer direkt am Band in Resende. Was
qualitativ nicht passt, wird zurück zu den Zulieferteams geschickt.
Dass die Arbeit vieler Hände sich in vergleichsweise guter Qualität
niederschlägt, mag Europäer überraschen. Für die brasilianischen
Qualitätsexperten ist es die Konsequenz aus jahrelanger
Prozessoptimierung.
VW-MAN-Gemeinschaftsbaureihe G90
Und wie fährt sich das Kooperationsprodukt? Der Delivery ist ein
braves Arbeitstier, dessen Äußeres trotz einiger kleinerer Eingriffe
immer noch an die selige VW-MAN-Gemeinschaftsbaureihe G90 der 80er-Jahre
erinnert. Die Optik bleibt aber die einzige Gemeinsamkeit mit dem
deutschen Organspender. Von einem 110 kW (150 PS) starken
MWM-Vierzylinder befeuert, reißt der Achttonner naturgemäß keine Bäume
aus. Dafür muss sein Fahrer kräftig am Schalthebel reißen, um die
einzelnen Fahrstufen des Eaton-Fünfganggetriebes einzulegen. Auch
Kupplungspedal und Lenkung leisten mehr oder weniger großen Widerstand
gegen die Bedienung. Die scharf zubeißenden Bremsen beenden die Reise in
die Lkw-Vergangenheit der 80er-Jahre. Dafür freut sich der
Delivery-Fahrer in der immer noch brauchbaren LT-Kabine an einem
aufgefrischten Innenraum, der durchaus moderne Züge trägt.
Eine Leistungsklasse darüber siedelt der Worker. Mit seinem
veritablen Schwer-Lkw-Chassis können dem "Arbeiter" bis zu 31 Tonnen
Gesamtzuggewicht zugemutet werden. Für den Vortrieb des Worker sorgen
MWM- und Cummins-Motoren bis 191 kW (260 PS), die seit Jahresbeginn in
Brasilien dem Euro-5-Abgaslimit entsprechen müssen. Als Solofahrzeug mit
13 Tonnen Gesamtgewicht gibt der Worker eine deutlich professionellere
Figur ab als der leichtere Delivery. Er lässt sich leichtfüßiger bewegen
und das Eaton-Sechsganggetriebe arbeitet weniger abweisend als im
kleinen Bruder. Bis 23 Tonnen Gesamtgewicht muss im Worker das
Sechsganggetriebe ausreichen. Ebenso wenig verwöhnt werden die
brasilianischen Camionistas bei der Motorleistung: Auch für schwere
Einsätze müssen 191 kW genug sein.
Der VW Constellation ist 2006 in Brasilien komplett Neuentwickelt
Eine Leistungs- und vor allem Komfortklasse über den eher altbacken
wirkenden Traditionalisten rangiert der VW Constellation, der 2006 als
komplette Neuentwicklung in Brasilien entstanden ist. Das
Produktspektrum reicht von 132 kW (180 PS) starken 13-Tonnern bis zum
Topmodell 31.370. Man merkt dem Constellation deutlich sein für
brasilianische Verhältnisse noch jugendliches Produktalter an. Wer sich
das erste Mal an den Arbeitsplatz des ernsthaft dreinblickenden
Constellation begibt, fühlt sich wie in einer Zeitreise in die
Generation Golf befördert. Luftdüsen, Instrumente und Schalter tragen
eindeutige VW-DNA in sich, was bei Bedienung und Übersichtlichkeit nicht
von Nachteil ist. Lenkung, Pedalerie und Schaltung lassen sich stramm,
aber präzise bedienen. Das Platzangebot in der schlanken Hochdach-Kabine
fällt nicht üppig aus, genügt aber durchaus für Langstrecken.
Im stärksten Constellation grummelt ein 270 kW (367 PS) starker
Cummins-Sechszylinder unter der Kabine. Im Zusammenspiel mit den 16
Fahrstufen des ZF-Getriebes kann der Constellation als
Double-W-Sattelzug mit zwei Aufliegern Gesamtgewichte von bis zu 63
Tonnen bewältigen. Für brasilianische Verhältnisse stellt die Leistung
des 8,3 Liter großen Euro-5-Motors eine Oberklasse-Motorisierung dar.
Als Double-W-Sattelzugmaschine mit Vollblattfederung fährt sich der
Constellation straff, ohne unkomfortabel zu sein.
Rad- und Motorbremse halten die schwere Kombination im Zaum
Auch für verwöhnte europäische Fahrer kommen die 270 kW (367 PS)
erstaunlich gut mit dem hohen Gesamtgewicht zurecht. Rad- und
Motorbremse halten die schwere Kombination im Zaum. Natürlich darf man
den Constellation nicht direkt mit einem Europäer vergleichen. Dafür
muss er auf brasilianischen Pisten durchhalten, die einen
Euro-Fernverkehrstruck über kurz oder lang aufreiben würden. Der
Constellation ist hart im Nehmen und zeigt das auch. Der grimmige Blick
im Frontdesign ist den Wünschen der heimischen Lkw-Fahrer zu verdanken,
die in der Macho-Nation Brasilien nach einem maskulinen
Fahrerhausgesicht verlangen.
Einen rundum robusten Charakter kann man auch dem Volksbus
attestieren, der – auf einem Lkw-Fahrgestell aufgebaut – als
Überland-Linienbus eingesetzt wird. Das Frontmotorkonzept nötigt dem
Fahrer eine gewisse Elastizität beim Erreichen des tief liegenden
Fahrerplatzes ab. Auch die Fahrgäste müssen sich durch ein Gewirr von
Stangen und Sperren am Schaffnerplatz vorbeischlängeln, bevor sie auf
den Sitzplätzen in den Genuss der eher rustikal-schluckfreudigen
Stahlfederung kommen. Immerhin hilft beim Mitteleingang eine elektrische
Hubbühne gehbehinderten Fahrgästen beim Ein- und Aussteigen.
Der hochbeinige Bus mit Caio-Aufbau gehört in Brasilien zu den
Bestsellern auf dem Regionalbus-Markt. Wegen der eher übersichtlichen
Motorleistung des 7,2 Liter großen MWM-Motors mit 165 kW (225 PS) müssen
sich die Mitfahrer im Volksbus sicher nicht festhalten. Eher schon
wegen der rustikalen Schaltschläge, die das ZF-Sechsgang-Automatgetriebe
bei jedem Gangwechsel austeilt. Aber das dürfte sowohl in den
Mega-Staus rund um São Paulo genauso wie auf den endlosen Überlandpisten
kein echtes Problem für die Brasilianer darstellen.
Ein Volk auf der Piste
Der Lkw dominiert mit einem Anteil von zwei Dritteln an allen
Transportaufgaben den brasilianischen Güterverkehr. Mit ihm lassen sich
auch entlegene Agrar- und Forstgebiete über das 1,7 Millionen Kilometer
lange Straßennetz erreichen, von dem nur knapp 100.000 Kilometer
asphaltiert sind. Mit einem Durchschnittsalter von 18 Jahren gilt der
Bestand von 1,5 Millionen Lkw als stark überaltert.
Gemeinsam unter einem Dach
Kein Fahrzeughersteller hat die Idee vom Komponenten-Truck so
konsequent umgesetzt wie MAN Latin America. Im modernen Lkw- und
Buswerk in Resende montieren sechs Zulieferfirmen in 51 Teams alle
Fahrzeugkomponenten auf eigenen Produktionsstraßen. Erst nach der
Qualitätskontrolle am Bandende übernimmt MAN das Fahrzeug und entlohnt
die Partner. 30 Prozent der Produktion sind Spezialfahrzeuge, darunter
auch ein dachloser Bus für Mekka-Pilger. Ab 2012 ergänzen MAN TGX und
TGS das Produktprogramm des Lkw-Marktführers.
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