Fünf Gründe gegen das as Mode Modewort wort Burnout
Leipzig, 2. November 2011 – Über zahlreiche Titelstories, Leitartikel, Buchpublikationen und
Fernsehsendungen hat sich der Begriff Burnout zu einem der Modeworte des Jahres
emporgeschwungen. Selbsternannte „Burnout-Kliniken“ springen auf den Zug auf und hoffen
auf eine Klientel von Managern mit Privatversicherung. Unternehmen führen betriebsinterne
gesundheitsfördernde Maßnahmen zur Stressreduktion ein, um dem „Burnout“ und auch
damit verbundenen Produktivitätsverlusten vorzubeugen. Auch wenn zu begrüßen ist, dass
hierdurch die große Bedeutung psychischer Erkrankungen deutlicher und die diesbezügliche
Sensibilität erhöht wird, so wird der inflationäre Gebrauch des schwammigen Begriffs
Burnout von vielen Betroffenen und Experten aus mehreren Gründen als verwirrungstiftend,
irreführend und längerfristig stigmaverstärkend eingeschätzt:
1. Der Begriff Burnout ist nicht klar definiert und in den maßgeblichen internationalen
Klassifikationssystemen gibt es keine Diagnose Burnout. Entsprechend liegen für die
bunten psychischen Störungen, die alle unter Burnout zusammengefasst werden,
auch keine Behandlungen mit Wirksamkeitsbelegen aus methodisch guten Studien
vor.
2. Ein Großteil der Menschen, die wegen „Burnout“ eine längere Auszeit nehmen,
leidet defacto schlicht an einer depressiven Erkrankung. Alle für die Diagnose einer
Depression nötigen Krankheitszeichen liegen vor, wozu immer auch das Gefühl tiefer
Erschöpftheit gehört.
3. Wird Burnout als weniger stigmatisierende alternative Bezeichnung zu Depression
verwendet, so wäre dies akzeptabel. Problematisch und nicht selten in gefährlicher
Weise irreführend ist jedoch, dass der Begriff eine Selbstüberforderung oder
Überforderung von außen als Ursache suggeriert. Auch wenn ausnahmslos jede
Depression mit dem tiefen Gefühl der Erschöpftheit einhergeht, ist jedoch nur bei
einer Minderheit der depressiv Erkrankten eine tatsächliche Überforderung der
Auslöser der Erkrankung. Viele depressive Episoden werden durch Verlusterlebnisse,
Partnerschaftskonflikte, durch eher positive Veränderungen im Lebensgefüge, wie
Urlaubsantritt, Beförderung, Umzug, etc. getriggert und bei zahlreichen Menschen
mit einer depressiven Episode ist beim besten Willen kein bedeutsamer Auslöser
festzustellen. Viele depressiv Erkrankte fühlen sich in einer schweren depressiven
Episode zu erschöpft, um ihrer Arbeit nachzugehen, ja um sich selbst zu versorgen;
nach erfolgreicher Behandlung und Abklingen der Depression empfinden sie die
zuvor als völlige Überforderung wahrgenommene berufliche Tätigkeit wieder als
befriedigenden und sinnvollen Teil ihres Lebens. Wäre Burnout oder gar Depression
in erster Linie Folge einer beruflichen Überforderung, so sollte diese Erkrankung in
Hochleistungsbereichen – sei es im Sport oder sonstigen Bereichen – häufiger sein
als bei Rentnern, Studenten oder Nicht-Berufstätigen. Eher das Gegenteil ist jedoch
der Fall.
4. Mit dem Begriff Burnout ist die Vorstellung verbunden, dass langsamer treten, länger
schlafen und Urlaub machen gute Bewältigungsstrategien sind. Verbirgt sich hinter
diesem Begriff eine depressive Erkrankung, so sind dies jedoch oft keine
empfehlenswerten und oft sogar gefährliche Gegenmaßnahmen. Menschen mit
depressiven Erkrankungen reagieren auf längeren Schlaf und eine längere Bettzeit
nicht selten mit Zunahme der Erschöpftheit und Stimmungsverschlechterung.
Dagegen ist Schlafentzug eine etablierte antidepressive Behandlung bei stationärer
Behandlung. Dies ist sehr gut belegt und für die Betroffenen überraschend, da diese
nichts mehr als den sehnlichsten Wunsch haben, endlich tief zu schlafen und am
Morgen erholt aufzuwachen. Beim Schlafentzug wird den Patienten empfohlen, die
zweite Nachthälfte wach zu bleiben. Die Patienten verspüren dann in der Mehrzahl
eine deutliche Besserung und oft völliges Abklingen der depressiven
Krankheitszeichen. Diese Besserung hält jedoch nur bis zum nächsten Schlaf an.
Trotzdem ist für viele depressive Erkrankte der Schlafentzug ein positives Zeichen, da
allein hierdurch die als unveränderlich erlebte depressive Verstimmung durchbrochen
werden kann. Sehr viele depressive Erkrankte merken auch, dass mit Dauer des
Wachseins, d.h. gegen Abend, die Erschöpftheit nicht zu- sondern eher abnimmt und
sich auch die Stimmung besser als morgens ist. Auch ist Urlaubsantritt etwas, was
jedem depressiv Erkrankten dringend abgeraten wird, da die Depression mitreist und
der eigene Zustand mit Antriebsstörung und der Unfähigkeit, irgendeine Freude zu
empfinden, im Urlaub in fremder Umgebung besonders bedrückend und schmerzlich
erlebt wird. Ob eine Krankschreibung, die bei schweren Depressionen unvermeidlich
ist, auch bei Betroffenen mit leichteren Depressionen sinnvoll ist, muss im Einzelfall
entschieden werden. Es gibt nicht wenige depressiv Erkrankte, die als besonders
belastend erleben, wenn sie nach der Krankschreibung grübelnd zu Hause im Bett
liegen. Manche Betriebe haben die Möglichkeit das Arbeitspensum während der
depressiven Episode deutlich zu reduzieren, den Betroffenen aber zu ermöglichen,
zur Arbeit zu kommen, sodass dieser durch den strukturierten Arbeitsrhythmus und
Einbindung in Arbeitsabläufe Halt und Tagesstruktur erfährt.
5. Eine Vermengung von Stress, Burnout und Depression führt zu einer Verharmlosung
der Depression. Stress, gelegentliche Überforderungen, Trauer sind Teil des oft auch
bitteren und schwierigen Lebens und müssen nicht medizinisch behandelt werden.
Depression dagegen ist eine schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankung, die sich
wesentlich von dem Gefühl der Erschöpftheit unterscheidet, dass wohl jeder Mensch
bisweilen morgens vor dem Aufstehen und auch nach einem langen Arbeitstag
kennt. Die Verharmlosung der Depression verstärkt das Unverständnis gegenüber
depressiv Erkrankten und das damit assoziierte Stigma. Der beste Weg zu einem
optimalen Umgang mit der Erkrankung Depression ist es eine Depression auch
Depression zu nennen.
Prof. Dr. Ulrich Hegerl
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig
Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe